Die Neugier ist wie eine heimtückische Geliebte. Immer dann, wenn man am wenigsten mit ihr rechnet, sucht sie einen heim. Sie füllt dein gesamtes Sein, kostet dich den Verstand und hinterlässt eine Leere, die ist wie ein endloser Ozean an Sinnlosigkeit. Das Rätsel des Lebens ist eines, das nur schwer verstanden werden kann. Und die Neugier ist zwiegespalten. Sie vermag jemanden aus seinem gewohnten Umfeld zu reißen. Meist ohne Vorwarnung. Sie macht das Leben, das uns zur Gewohnheit wurde, schlicht unsinnig. Wer an den Rand des Gewohnten geht, steht an der Schwelle des Wahnsinns.

Der Mann, dessen Herzen von Neugier heimgesucht wurde, stand am Hafen seiner Heimatstadt. Er wartete auf eine Gelegenheit, der Einöde seines Dorfes zu entkommen. Sein Vater war Schäfer. Genauso wie sein Großvater und sein Urgroßvater. Er mochte Schafe, sah seine Berufung aber nicht darin, diesen Tieren zu dienen. Stattdessen verbrachte er schon als kleiner Junge seine Nachmittage am einzigen Ort, der ihm wirklich etwas zu bedeuten schien: in der Bibliothek. Dort las er all die großen Schriften von bedeutenden Philosophen. Er hörte ihnen zu, wie sie Streitgespräche über den Sinn des Lebens führten. Und doch führte ihn nichts davon zu sich selbst. Ein Zustand, den er nicht mehr länger zu ertragen vermochte.

Ein großer, stinkender Kutter fuhr ein. Er hasste den Fischfang. Den Geruch. Den Tod und die Gewalt. Die Torheit der Fischer, die ihren Lebensunterhalt damit rechtfertigten, Lebewesen ersticken zu lassen. Doch wer seiner Wahrheit folgen möchte, muss auch Opfer bringen. Und der stinkende Kutter des alten Fischers, war nun mal seine einzige Chance, den Ort der Einöde zu verlassen, den er zuhause nannte. Alles, was er dabei hatte, passte in einen kleinen Beutel. Darin befand sich sein ganzer Besitz. Alles, was er zum Leben brauchte. Und zwei seiner wertvollsten Bücher. Er war ein einfacher junger Mann, der das Lesen liebte und keine Vorstellung davon hatte, weshalb er existierte.

Der Kutter brachte ihn an einen riesigen Umschlagplatz für Schiffe. Eine Art Drehkreuz des Ozeans, gelegen an einer ekelhaften Stadt. Hafenstädte hatten zumeist eins gemein: Räuber und Unehrenhafte gab es zuhauf. Der neugierige, junge Mann war vorsichtig. Er traute niemandem. Wo sollte er nun anfangen, um nach der Wahrheit des Lebens zu suchen? An diesem gottverlassenen Ort würde er sie jedenfalls nicht finden. Alle um ihn herum waren mit der Sünde beschäftigt. Damit, sich von ihrem schweren Leben abzulenken. Die Damen trugen aufreizende Kleider, der Alkohol floss in Strömen. Hahnenkämpfe holten das Animalische des Menschen an die Oberfläche. Der Gestank, das Geschrei, das Gezeter — alles hier widerte ihn an.

Er stieg einen Berg hinauf. Unweit des Hafenbeckens, das er von hier oben gut überblicken konnte. Es war kalt für diese Jahreszeit und das Schaffell bedeckte ihn zu knapp. Dennoch erfasste sein Herz ein Gefühl, das er seit langer Zeit nicht mehr spürte. Er war glücklich. Froh darüber, nicht in der Einöde seines Heimatdorfes zu versauern. Noch mehr, nicht wie die Männer und Frauen dieses Hafenumschlagplatzes zu sein. Er schlief ruhig und fest, bis er mitten der Nacht ein Geräusch ausmachte. Ganz sicher war er sich, dass es ein Jemand, ein Mensch sein musste. Hastig packte er all seine wenigen Habseligkeiten in seinen Beutel. Fluchtbereit und auch des Kampfes. Sein Großvater hatte ihn in die Kunst des Nahkampfes eingeweiht. Und er trug einen exotischen Dolch aus dem Abendland bei sich, den er zur Not würde einsetzen, um sein Leben zu verteidigen.

Das Geräusch wurde lauter. Er erkannte die Umrisse eines Mannes. In etwa so groß wie er, seine Statur. Er würde nicht zögern, käme es darauf an. »Welcher Jüngling macht sich hier an meinem Schlafplatz breit?«, vernahm er einen älteren Manne, vielleicht doppelt so alt wie er selbst. »Ich bin nur ein Reisender, der von der Neugier geplagt ist. Schon morgen werde ich diesen gottlosen Ort wieder verlassen«, sprach der neugierige Mann. »Nun, gottlos? Ja, das ist dieses Hafenbecken zweifelsohne. Aber wer erhebt sich, das zu beurteilen? Noch dazu als junger Schäfersohn? Solltest du nicht bei deinen Schafen auf dem Felde sein?«. Klarheit und Kälte lagen in der Stimme des Fremden. Es war, als hätte er sein Leben in diesem Hafenbecken verbracht und seine Seele verbarg sich hinter seinem kantigen und schroffen Gesicht. Ihn umgab die Stimmung des Todes. »Ich bin kein Schäfer!«. Seine Empörung war nicht zu verstecken. »Ich bin, wie schon erwähnt, nur auf Durchreise«. »Doch gekleidet bist du wie ein Schäfer«. »Mein Vater und Großvater sind Schäfer…«, »Na also, sage ich doch — du bist Schäfer«, unterbrach ihn der Fremde. »Sieh, Junge. Ich bin Matrose. Mein Vater war Matrose. Mein Großvater und sein Vater auch. Ich bin auf dem Schiff groß geworden, genau wie du auf den Feldern. Wir können uns unser Schicksal nicht aussuchen, junger Schäfer«. »Oh doch, das können wir. Nur weil mein Vater und Großvater Schäfer waren, heißt das lange nicht, dass ich ebenfalls Schäfer werden muss«, sagte der neugierige, junge Mann erregt. Ihn störte die Tatsache, dass ihn immer alle als Schäfer sahen. Er selbst wollte kein Schäfer sein. Sein Vater und Großvater hatten alles versucht, ihn in die Kunst der Schäferei einzuweihen. Aber er wollte kein Schäfer sein. Die Welt, in der er lebte, war einfach: Man ist, was man ist. Schäfer, Fischer, Matrose, Bankier, Kaufmann. Aber das erklärte noch lange nicht die Sehnsucht in seinem Herzen, die Löcher, die von mangelnder Wahrheit weit aufgerissen waren.

»Jedenfalls bist du ein störrischer, junger Schäfer«, sagte der Fremde, der sich nun in seinen stinkenden Kleidern neben ihm niedergelassen hatte. In seiner Hand hielt er eine Flasche voller Gin, die er dem jungen Neugierigen hinhielt. Der aber verneinte, Alkohol rührte er gewiss nicht an. »Wo genau willst du hin, wenn du deinen Feldern schon fern bist und deinen Vätern bei ihrer Arbeit nicht helfen willst?«, fragte der Fremde, als er einen großen Schluck Gin trank. »Ich weiß es nicht. Ich hoffte, hier Antwort zu finden. Ich bin auf der Suche nach der Wahrheit und nichts wird mich davon abhalten, sie zu finden«.

»Pfff, nach welcher Wahrheit suchst du, Jüngling? Was erhoffst du dir, auf einer solch sinnlosen Reise zu finden? Dein Platz ist der neben deinen Ahnen am Felde.« »Mich interessiert aber nicht die Wahrheit des Feldes. Ich bin kein Schäfer und werde nie einer sein. Mich interessiert die Wahrheit — die eine Wahrheit über das Menschsein. Warum gibt es unsere Spezies? Was ist Gott? Was ist der Sinn des Lebens?«. »Oh ein feiner Philosoph gedenkt er zu sein, der junge Schäfer. Ich kenne solche wie dich. Einst traf ich einen Jüngling wie dich, der auch meinte, er müsse den Sinn des Lebens finden. Er reiste von Ort zu Ort, fand seinen Meister und ging nie wieder fort von dort, wo sein Meister lebte«, sagte der Fremde, in die sternklare Nacht hinein. »Wo finde ich diesen Meister?«, war alles, was der neugierige, junge Mann hatte wissen wollen. Sein Puls beschleunigte sich. Er wurde aufgeregt. Von welchem Meister sprach dieser Fremde? Selbiger lachte ein tiefes, grunzendes Lachen. Es war ein wissendes Lachen. »Diesem Meister wirst du früh genug begegnen. Vorausgesetzt, du bist dem Wahnsinn nahe genug, um Ausschau nach ihm zu halten. Er nimmt jeden Suchenden wie dich auf, vorausgesetzt sein Herz ist rein. Du wirst ihn nicht verfehlen können. Doch glaube mir, mein junger Freund, es kostet dich deinen Verstand, dich ihm hinzugeben. Du willst Antworten, so suche im Osten. Morgen um 5 Uhr legt ein Schiff ab, was dich deinem Meister ganz nahe bringen kann. Ich kenne den Eigner. Wenn du etwas hast, was ich gebrauchen kann, mache ich dich morgen mit ihm bekannt«.

Der Schäfersohn überlegte, was er dem Fremden hätte geben können. Sein Besitz war mehr als überschaubar und von seinen beiden wertvollsten Büchern wollte er sich nicht trennen. »Ich fürchte, ich habe nichts, was für dich von Interesse sein könnte. Aber du musst mich trotzdem mit dem Eigner bekannt machen. Ich zahle meine Schuld bei dir auf anderem Wege ab, versprochen. Wenn ich meine Wahrheit gefunden habe, werde ich mich an dich erinnern, zurückkommen und dich reichlich entlohnen!«. Der Fremde schnaubte vor Lachen. Jedes Mal, wenn er hätte einen Schilling bekommen für ein Versprechen wie dies, hätte er seinen alten Körper längst nicht mehr auf hohe See schleppen müssen. »Nein, nein, mein junger Wahrheitssuchender. Meine Dienste sind nicht umsonst. Ich will bis morgen früh eine Entlohnung oder ich werde euch nicht bekannt machen. Der Eigner ist misstrauisch. Ohne meine Empfehlung wird er dich nicht mitnehmen. Überhaupt ist die Überfahrt eine der gefährlichsten der Welt. Er kann nur tapfere Männer gebrauchen, erprobt und ausgebildet von vielen Reisen auf hoher See. Solche, denen er sein Leben anvertrauen kann. Es wird ohnehin schwierig, eine Aufgabe für dich schmächtigen Jungen an Deck zu finden. Finde eine Belohnung für mich, ansonsten wirst du gen Osten schwimmen müssen«.

Mit einem brummenden Gelächter breitete der Fremde danach eine Decke aus, trank noch einen gütigen Schluck aus seiner Flasche und sank in einen tiefen Schlaf. Der Schäfersohn wusste nicht, was er tun sollte. Woher sollte er nur eine Belohnung finden, die dem Fremden würde genug sein? Und konnte er ihm überhaupt trauen? Er konnte es nicht. Wenn das Schicksal ihm gütig wäre — und nur dann — würde er es auf das Schiff gen Osten schaffen und einen Meister, jemanden, der die Antworten kennt, die sein Herz begehrt, treffen. Er würde all seine Antworten bekommen, darüber, was das Leben ist, wer er war und wie er selbiges würde verbringen wollen. Kurz danach schlief er ein. Er träumte von dem Getöse der Hafenstadt. Ihre Energie suchte ihn in seinen Träumen heim.

Am nächsten Morgen erwachte der Jüngling und stellte fest, dass der Fremde verschwunden war. Hatte er verschlafen? Es war zweifelsohne noch sehr früh. Stockfinster, um genau zu sein. Der Fremde verbarg sich hinter einem Busch. Er verrichtete gerade seine Morgentoilette. »Ah, ich wollte mich gerade auf den Weg in den Hafen machen. Hast du eine Belohnung gefunden, die mir gerecht wird?«. Versteinert blickte der Suchende den Fremden an und seine Miene verriet dem Fremden, dass er nichts besaß, was dieser hätte haben wollen. Da fiel ihm eines der Bücher auf, die der junge Schäfersohn bei sich trug. »Was ist das, was du hast?« Er deutete auf eines der Bücher. Es war das Wertvollste, was er besaß. Das Buch war eine philosophische Niederschrift der größten Worte, die die Philosophen früherer Epochen prägten. Er konnte es dem Fremden nicht geben. Nicht einmal für das Bekanntmachen mit dem Eigner. »Dieses Buch ist mein teuerster Besitz. Ich kann es dir nicht geben. Doch ich könnte mich von meinem anderen Buch trennen«. Er zeigte es dem Fremden. »Nein. Ich will das, was dir am wertvollsten ist. Ich werde dafür nicht viel bekommen aber von Zeit zu Zeit verirren sich einige Gelehrte von großen Reedereien abends in den Spelunken des Hafens. Wenn sie ihren Trieben nachgegangen sind und der Alkohol ihre Gehirne weich gemacht hat, werde ich einen guten Preis dafür herausholen. Irgendwas sagt mir, dass das es ein seltenes Buch ist«.

Der Schäfersohn war geschockt. Er konnte sich nicht von diesem Buch trennen. Es war alles, was er besaß und ihm je etwas bedeutete. Auf der anderen Seite musste er, wollte er seinen Meister im Osten treffen. »Sieh, Jüngling. Dieses Buch scheint dir lieb und teuer zu sein. Genau diesen Preis wird der Meister, den du treffen wirst, von dir fordern. Wirst du mir das Buch nicht geben, wird spätestens der Meister höchstselbst einen Preis wie diesen von dir einfordern«. Er begriff. Und schweren Herzens löste er sich von seinem teuersten Besitz. »Ich überreiche dir das Buch, sobald du mich mit dem Eigner bekannt gemacht hast und er einverstanden ist, mich mitzunehmen«. »So soll es sein«, sagte der Fremde und machte sich mit seinem jungen Freund auf, den Eigner des Schiffes zu erreichen.

Als sie dort ankamen, spürte der junge, neugierige Reisende die schiere Größe seiner Expedition. Wo würde er im Osten landen? Wie würde sein Meister, den er noch nicht kannte, aussehen? Er musste den Fremden vor Abfahrt unbedingt noch fragen, wie er den Meister würde finden können im fernen Osten. Doch der war ins Gespräch mit dem Eigner vertieft. Der Eigner musterte den neugierigen Jüngling von Kopf bis Fuß und war der Überzeugung, er hätte keine Verwendung für einen schmächtigen Schäfersohn wie ihn an Deck. Genau wie der Fremde ihm bereits vorausgesagt hatte. Dennoch gelang es dem Fremden, den Eigner von einer Unterredung mit dem Jüngling zu überzeugen. Der Schäfersohn spürte, dass dies seine einzige Chance war, an Deck zu gelangen. »Nun, Jüngling. Was sollte ich von jemandem wie dir erwarten können? Ich brauche erfahrene Seeleute. Solche, auf die ich mich im größten Sturm verlassen kann. Und solche bei denen ich sicher weiß, ihre Furcht vor mir ist groß genug, um keine Meuterei zu beginnen. Was sollte ein schmächtiger Schäfersohn wie du schon beibringen können, dass einen großen Wert für mich hat? Seine Worte klangen scharf, der Blick seiner braunen Augen glasklar und starr. »Nun, ich könnte ihrer Mannschaft vorlesen. Sicher werden sie früher oder später von der Langeweile geplagt, auf einer langen Fahrt wie die, die Ihr plant«. Der Eigner lachte schallend auf, genau wie der Fremde zu seiner Rechten. »Lesen? Was bringt mir eine Truppe gebildeter, törichter Trunkenbolde? Bring ihnen ein Fass voll Rum und du bist ihr bester Freund. Es sind einfache Männer, aber solche, die fest anpacken können. Ganz im Gegensatz zu dir«, stellte der Eigner fest. »Weit gefehlt!«, brachte der Jüngling hervor. »Sie selbst sagen, dass sie Ihre Ruhe auf dem Schiff haben wollen. Sie brauchen tapfere und starke Männer, aber solche, die sie in Ruhe lassen und von denen sie wissen, dass keine Gefahr ausgeht. Eine gute Geschichte besänftigt den Geist und erlaubt dem geschundenen Körper, sich zu erholen. Und die See ist wie ein grenzenloser Raum der Fantasie. Nicht umsonst wurden die größten Romane an Deck verfasst oder handeln vom Leben und Sterben auf den großen Schiffen. Ich bin überzeugt, der richtige Seefahrersroman würde ihren Mannen guttun und sie zugleich ablenken, irgendwelche Dummheiten anzustellen. Widersprechen Sie mir, wenn ich mich täusche — strafen Sie mich einen Lügner, wenn Sie diese Wahrheit nicht wie ich im Herzen spüren«.

Der Fremde, der den Schäfersohn mit dem Eigner vertraut gemacht hatte, staunte nicht schlecht. Anerkennend nickte er dem Jüngling zu. Der Eigner strich mit seiner bärengroßen Tatze über das Gesicht. Man sah ihm an, wie sehr er mit sich rang. Dann, nach einem schier unendlichen Moment, sagte er: »Na schön, Jüngling. Ich will dir eine Chance geben. Du liest meinen Männern jeden Abend vor. Nach dem dritten Abend werde ich ihren Vormann zu mir zitieren. Wenn er sagt, seine Leute verhalten sich weniger wie wilde Barbaren, bleibst du an Deck. Sagt er mir aber, deine Lesungen würden nichts bringen oder die Mannschaft gar aggressiv machen, werfe ich dich in mitten des Ozeans über Bord. Wenn du überzeugt genug davon bist, dass das, was du sagst stimmt — Willkommen an Bord. Wenn nicht, gehe mir aus dem Blickfeld und lasse dich nie wieder in diesem Hafen blicken, der du mir sonst Zeit und meine Nerven gestohlen hast«. Der Eigner machte kehrt, drehte sich dann noch einmal um und rief von der Reling: »Abfahrt ist vor Sonnenaufgang in einer Stunde«.

Der Schäfersohn zitterte am ganzen Körper. Der Fremde gratulierte ihm, man merkte ihm an, dass eine Welle voller Stolz für seinen jungen Freund in ihm aufbrandete. »Ich hätte nicht gedacht, dass er dich überhaupt erhören würde. Dass du ihm mit solchem Mut und solcher Entschlossenheit begegnet bist, imponiert ihm. Ich kenne diesen alten Haudegen schon lange. Du schuldest mir nun ein Buch. Und für die Besatzung suche lieber in dem Buchladen am Westkai auf. Du findest ihn keine 500 Meter von hier entfernt. Der alte Besitzer ist meist schon da und sortiert hinter seinem Laden, die neuen Bücher aus der Ferne. Dort wirst du die Sorte Geschichte finden, die diese Männer brauchen. Andernfalls kannst du hoffentlich gut schwimmen. Denn der Eigner vermag nicht zu spaßen. Er wird dich über Bord werfen, wenn du seine Männer langweilst oder aggressiv stimmst. Und nun, gib mir mein Buch«. Widerwillig gab der Schäfersohn dem Fremden das versprochene Buch. Abgemacht ist abgemacht und der Preis für Wahrheit ist wohl der höchste, den er jemals bezahlen musste.

Danach machte er sich auf zur Buchhandlung und fand den Besitzer, wie vorausgesagt, hinter dem Laden. Er kniete im Kerzenschein vor lauter randvoller Kartons mit Büchern in Sprachen, die der Jüngling noch nie in seinem Leben gelesen hatte. Der alte Besitzer erschrak fast zu Tode, als er den jungen Schäfersohn sah. Als er die Feinfühligkeit und den Mut des jungen Mannes spürte, ward sein Lächeln sanft und sein Herz gütig. »Um dieses Spelunkenpack bei Laune zu halten, wählst du besser etwas, das die raue Schönheit der Seefahrt enthält. Er händigte dem Schäfersohn drei Bände mit großen Seefahrergeschichten aus. Nie hat der Jüngling solche fragilen und wunderschönen Einbände gesehen. Der alte Ladeninhaber sagte ihm, dass sie von Buchbindereien auf der ganzen Welt stammen, und machte dem Jüngling eins davon zum Geschenk. Schnell sputete sich dieser, um das Schiff zu erreichen, von dem sein Leben abhing, als er in eine faustdicke Überraschung stolperte.

Der Fremde, der ihn erst mit dem Eigner bekannt machte, lehnte an Deck und rauchte eine Zigarette. »Na, hast du deine Bücher bekommen, junger Freund?«. Er pustete Rauch aus und verschluckte sich daran. »Was machst du hier? Bist du einer der Matrosen für diesen Husarenritt?«. »Ja, das bin ich. Wie sonst hätte ich das Vertrauen des Eigners erhalten?«. »Gut, dann kann ich dich noch einiges zu meinem Meister fragen. Wie sieht er aus? Wo finde ich ihn genau? Wie vermag ich ihn zu erkennen?«. Der Jüngling war noch immer ganz außer Atem. Er ließ seinen Beutel zu Boden sinken und stellte fest, dass er noch keinen Bissen gegessen hatte. Sein Magen knurrte, seine Wasservorräte waren aufgebraucht. Er musste dringend etwas trinken, sonst würde er dehydrieren. »Wo bekomme ich etwas zu essen und zu trinken?«, fragte er den Fremden, der sich wieder gefangen und gleich die nächste Zigarette angesteckt hatte. »Das hier ist kein Luxusdampfer. Erwarte nichts außer einer saftigen Mageninfektion. Du solltest besser immer etwas dabei haben, was nicht von diesem Schiff stammt. Mit einer eleganten Bewegung öffnete er seinen Mantel, holte ein Stück eingewickelten Käse aus seiner Tasche und gab dem Jüngling ein großzügiges Stück davon. »Ich bin gespannt, ob du in drei Tagen noch neben mir stehst. Und wegen deines Meisters: Du wirst ihn finden, wo du ihn niemals erwarten würdest, verkleidet in einem Kostüm, das dir niemals aufgefallen wäre und besser getarnt als jeder Theaterkünstler. Aber sei unbesorgt: Bist du erstmal im fernen Osten angekommen und trägst den Wunsch nach Wahrheit wahrhaftig im Herzen, wirst du ihn sicher finden, deinen Meister«.

Verschmitzt lachte der Fremde, starrte in die Ferne und wusste, im Gegensatz zum jungen Schäfersohn, genau, wovon er sprach. Armer Junge, dachte er sich. Armer, törichter Junge. Wärst du mal bei deinen Schafen und Vätern geblieben…

Fortsetzung folgt.   


Dies ist Teil 1 der Geschichte. Teil 2 erscheint nächsten Sonntag!

Teil 1 der Geschichte darf gerne geteilt werden!

P.S.: Auf YouTube gibt es die Geschichten auch als Lesung. Der "Jüngling" und der "Wanderer" sind bereits verfügbar:


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Writing Art by Manuel J. Kugler
Essays und Geschichten über das Leben