Eine Tür fliegt auf. Die Pflegerin huscht ins Zimmer. Ein flüchtiges „Guten Morgen Herr Schmitt“. Sie sucht mit ihrem Blick das Zimmer ab. Eine Stimme, die ermahnt. Mich zurechtweist. Störrisch. Irgendwas hat sie im Zimmer gefunden, was ihr nicht gefiel. Ich öffne die Augen. Sie ist wie von Sinnen. In ihrem Leben gibt es nie Zeit. Wann habe ich zuletzt jemandem in die Augen blicken können? Die jungen Leute tun das nicht mehr. Alles klappert. Ich fliege fast aus dem Bett. Summen vom Motor unter dem Bett. Die Pflegerin stellt es hoch. In die Tagesposition. Ich werde dort vor mich hin vegetieren, wie jeden anderen Tag.

Alles dauert keine drei Minuten.

»Guten Morgen«, sage ich zu mir selbst, als sie verschwunden ist. Das störrische Weib.


Eine Tür fliegt auf. Die Mutter huscht ins Zimmer. Ein flüchtiges „Guten Morgen, mein Schatz. Zeit zum Aufstehen. Du musst gleich in die Schule. Mama zerrt den Rollladen hoch, dass es nur so scheppert. Ich bin müde. Will noch schlafen. Habe keine Lust auf Schule. Aber ich weiß, ich will Mama keinen Ärger machen. Papa ist schon los zur Arbeit.

Mama ist längst aus dem Zimmer verschwunden.

Alles dauert keine 30 Sekunden.

»Ich will nicht zur Schule!«, höre ich mich sagen, als ich meinen Kopf in mein Kissen werfe.

Herr Schmitt ist der Opa von Janis. Und Janis ist der einzige Grund, weshalb Herr Schmitt noch am Leben ist. Wenn seine Tochter seinen Enkel bringt, glimmt ein Funke Lebensfreude in seinem alten Herzen auf. Ansonsten hat er niemanden mehr. Seine Frau Ute ist längst verstorben. Vor 30 Jahren bereits. An Krebs.


Ich schleiche mich in die Küche. Mache vorsichtig das Licht an. Alles ruhig. Alle scheinen noch zu schlafen. Mama, Papa und Mira, Papas Tochter. Also genau genommen ja meine Stiefschwester. Aber ich nenne sie immer Mira. Ich habe Durst und schenke mir ein Glas Orangensaft ein. Ohne Wasser. Mama und Papa sagen immer, man muss da noch Wasser reinmachen. Aber ich finde, dann schmeckt es nicht mehr so doll nach Orangen. Und darum trinkt man doch einen Orangensaft, oder?

Ich mache mir ein Müsli und wundere mich, warum keiner kommt. Hat Mama verschlafen? Ist heute eine Stunde später und ich hab’s vergessen? Wäre nicht zum ersten Mal. Wenigstens gehe ich dann heute nicht aus Versehen in die Schule, wie neulich. Und dann musste ich stundenlang warten, bis wer anders kam. Man, war das langweilig.

Sanft streichelt mir dann jemand übers Fell. Ich spüre Mamas Pyjamabendel im Nacken. Das kitzelt. »Guten Morgen, Janis, mein Schatz«, sagt sie. »Konntest du nicht mehr schlafen?«. Ist heute keine Schule?, wollte ich wissen. Ich kann mir das immer noch nicht so gut merken. »Nein, heute ist keine Schule. Wir besuchen doch heute Opa, schon vergessen?«. Sagt sie. Und ich hab’s total vergessen. Dabei freu ich mich doch immer so auf meinen Opa. Ihm geht es zwar nicht so gut und sein großes Bett mit dem lauten Motor macht mir Angst. Aber irgendwie riecht es dort immer so gut. Und es gibt Plätzchen. Opa steckt mir immer noch eins mehr heimlich zu, als Mama erlaubt hat. Ich mag Opa. Und Plätzchen. Heute wird ein guter Tag.


Als die Tür auffliegt, bin ich schon wach. »Oh Herr Schmitt, na was für eine Überraschung. Und ihren feinen Anzug haben Sie auch schon an. Na, ist heute Besuchstag?«. Das nicht mehr taufrische Mädchen sagt das mit einer gewissen Häme. Sie sieht uns Alte hier vor uns hinvegetieren und weiß genau, wie wenig Besuch wir bekommen. Soll sie einmal meinen Platz einnehmen. Aber genau genommen, kann ich es ihr nicht verübeln. Hier zu sein ist schrecklich für uns alle. Den Alten nimmt man die Würde und den Pflegerinnen die Jugend. Heute jedenfalls ist ein guter Tag. Egal, was diese alte Pflegerinnenschachtel von sich gibt.

Janis und meine Tochter kommen bald.

Ich stehe vorm Spiegel. Gestützt auf meine Gehhilfe. Die drei Haare hätte ich mir jetzt auch nicht mehr herrichten brauchen. Aber was soll’s! Ein gepflegter Mann ist ein guter Mann, pflegte mein Vater schließlich immer zu sagen.


Die Autofahrt war stinklangweilig. Ich bin mit Mama alleine unterwegs. Papa und Mira haben Papa-und-Mira-Tag. Und ich, Janis und Mama – Tag. Mir soll's recht sein. Als ich keine Fragen mehr wusste, die Toniebox leergehört und auch keine Sticker mehr im Album hatte, musste ich pinkeln. Mama hielt an. Es war laut. Wir hielten an einem Autobahnrastplatz. Ich mag es, Opa zu besuchen. Das hab ich, glaub ich, schon mal erzählt. Aber was ich nicht mag, ist das lange Hinfahren. Und heim müssen wir ja auch noch. Aber daran mag ich gerade gar nicht denken.

Bald darauf kommen wir an diesem großen Haus an, in dem der Opa eine Wohnung hat. Früher hatte er mal ein Haus für sich alleine. Aber Mama sagt, das wäre jetzt zu viel für ihn und es sei besser so, wenn der Opa mit anderen Menschen und Pflegern wohnt. Dem Opa gefiel das am Anfang, glaube ich, gar nicht so gut. Aber jetzt mag er es. Sagt er jedenfalls.

Ich schäle mich aus dem Gurt und stürze mich hinab von meiner Sitzerhöhung auf den Boden. Platsch. Mitten in eine Pfütze. Mama schimpft. Die neuen Schuhe. Und Hosen. Ich will am liebsten nochmal aber jetzt einen Streit mit Mama riskieren wäre, glaub ich, nicht so gut. Also gehen wir rein ins große Haus. Ob Opa Kekse oder Plätzchen hat?


Es klopft an der Tür. Sie sind zu spät. Ich bin wütend. Oder mürrisch, wie meine Tochter sagt. Sie weiß nämlich viel besser über ihren alten Vater bescheid, als er selbst. Natürlich bin ich stinkesauer. Den ganzen Monat freue ich mich schon auf die beiden. Mehr auf Janis. Ich glaube, das ist in meinem Alter legitim. Meine Tochter entwickelt die gleichen Marotten wie Ute und ich im Alter. Die Alten werden wirklich seltsam mit der Zeit.

Ich öffne die Tür. Setze mein das „Ich lass mir nichts anmerken aber bin eigentlich stinkesauer Lächeln“ auf. Meine Tochter bemerkt es sofort. Wir umschiffen das Thema. Janis wirkt schüchtern. »Hallo mein Großer! Oh zeig mal, was hast du denn für coole Schuhe an?«. Warum klingen Großeltern eigentlich immer wie Vollidioten? Ich glaube ja, wir machen das wegen den Erwachsenen. Im Alter habe ich eine Sache begriffen: Kinder und Alte leben in einer parallelen Welt. Wir verstehen uns. Weil wir zu einer Randgruppe gehören. Dieses Kind und Alter Spiel nervt mich gewaltig. Ich würde Janis gerne anders behandeln aber das kann ich nur, wenn seine Mutter nicht in der Nähe ist. Dann reden wir beide immer wie ganz normale Menschen. Ich mag den Jungen.

In meinem Zimmer mieft es, sagt meine Tochter. Also beschließen wir in den Garten zu gehen. Ein wenig frische Luft, tut den Lungen gut. Ich brauche ewig. Diese verdammte Gehhilfe hilft mir nicht sonderlich gut beim gehen. Dafür schwielen meine Hände um so mehr. Als wir endlich angekommen sind, bemerke ich, wie schön der Garten ist. Das schlechte Gewissen meiner Tochter hat mir wenigstens den Blick ins Grüne verschafft.

Wir setzen uns. Am liebsten würde ich zu meiner Tochter sagen: »Komm, Anke, geh doch mal spielen und lass uns beide alleine«. Aber das wäre unangebracht. Also sage ich ihr, sie soll einen Kaffee trinken gehen. Was sie auch tut. Muttersein ist nicht immer einfach. Kann ich mir vorstellen. Vatersein auch nicht, das weiß ich.

Mama geht einen Kaffee trinken. Ich sitze mit Opa im Garten. Sicher wird er bald einen Keks oder ein Plätzchen auspacken. Ich freue mich. Wasser läuft mir im Mund zusammen. Und ich habe Durst.

Opa fragt: »Na, Janis, wie laufen die Dinge so in Wildbadkreuten?«. Da wohnen wir. »Gut«. Was soll man da auch mehr zu sagen. Opa und ich verstehen uns. Auch wenn keiner was spricht. Endlich öffnet er sein Jacket. »Schau mal, ich habe den ganzen Monat alle Kaffeekekse von meinem Nachmittagskaffee für dich gesammelt«. Hab ich schon gesagt, dass ich Kekse mag? Und Opa? Opa mag ich auch. Nicht nur wegen der Kekse sondern weil der mich irgendwie…normal behandelt. Und weil er nicht so viel zu tun hat, wie die anderen Erwachsenen. Wenn ich mal groß bin, will ich auch Opa werden. So viel Stress wie Mama und Papa will ich nicht haben. Ich könnte doch mal Opa fragen, wie man Opa wird, oder?

»Opa«, sage ich, während ich mir den nächsten Keks reinstopfe. Ich frag ihn mit offenem Mund. Beim Essen! Ihn scheint das nicht so zu stören wie Mama und Papa. »Sag mal, wie wird man eigentlich Opa?«.

Ich mag die Nachmittage mit Janis. Wir sind wie in unserer eigenen Welt. Einer, in der für einen kurzen Moment alles in Ordnung ist. Was Anke nicht weiß, ich aber schon, ist, dass Janis wirklich nicht gerne die Schule besucht. Dort gibt es einige Raufbolde und die Lehrer scheinen auch nicht die hellsten Kerzen auf der Torte zu sein. Zu meiner Zeit waren die Lehrer ja auch noch Respektspersonen. Man musste spuren, sonst gab’s eine feine Tracht Prügel. Ich weiß genau, dass sie das genossen haben. So konnten sie sich schön an uns Schülern abreagieren. Alles Nazis, wenn man mich fragt. Aber mich fragt ja keiner. Ich bin ja alt.

Jedenfalls, Janis gefällt es nicht besonders in der Schule und ich nutze die Gelegenheit, mich danach zu erkundigen. Aber erst, nachdem ich seine Frage beantwortet habe, wie man eigentlich Opa wird. Ja, das habe ich selbst nicht kommen sehen. Plötzlich war ich Papa. Und dann Opa. Ein Wimpernschlag. Ich muss an Ute denken. Sie würde Janis in ihr großes Herz schließen, wie eigentlich jeden. Ich kenne keine Frau, die ein so großes Herz hatte, wie meine Ute. Ich muss mir eine Träne abtupfen, hole mein Papiertaschentuch aus dem Jacket. Alte Männer machen das so. Warum auch immer. Janis hat nichts bemerkt.

»Nun, Opa wird man, indem man erstmal selbst Kinder bekommt und dann bekommen auch diese Kinder«. Ich höre mich selbst und meine merkwürdig langgezogenen Worte, als würde ich mit einem Vollidioten sprechen. Und gleich tut’s mir leid. Janis ist kein Vollidiot. Und es ist kein Erwachsener in der Nähe, also kann ich mir das unnötige Langziehen von Sätzen sparen.

»Nein, nein das meine ich nicht«, Janis stopft sich die Kekse schneller in den Mund, als ich das Wort Keks überhaupt aussprechen kann. »Ich meine, wie wird man Opa. Also so wie du. Ich würde gerne ein Opa sein, aber wie du früher im eigenen Haus. Ich mag doch lieber mein eigenes, auch wenn es dir hier besser gefällt«. Ich verstehe ihn noch nicht so recht. »Du willst Opa werden mit einem eigenen Haus? Aber erst einmal musst du ja selbst eine Familie gründen. Erwachsen werden…«, da fällt er mir ins Wort.

»Aber nicht so ein Erwachsener wie Mama oder Papa«. Krümel prasseln aus seinem Mundwinkel, als er das sagt. Mit seinen grün-grauen Augen guckt er mir direkt in meine. Endlich ein Blickkontakt. Mein Herz schlägt einmal mehr pro Minute, was für das alte Teil Rekord ist. Ich blühe auf. Durch die Augen erkennen wir uns selbst, hat mal ein dahergelaufener Philosoph behauptet, der Zeit seines Lebens nix gemacht hat, außer solcher Kalauer zu erzählen. Aber damit hatte er recht. Als mich Janis geradewegs durch seine kindlichen Augen anstiert, öffnet sich mein Herz. Ich beginne, die Welt durch seine Augen zu sehen.

»Wie meinst du das, nicht so ein Erwachsener wie Mama und Papa?«, muss ich nun von ihm wissen.

»Na ich will nicht die ganze Zeit zur Arbeit gehen müssen. Die Mama und der Papa sind immer ganz arg müde abends. Mit denen kann man abends nix mehr machen, Opa. Darum hab ich mir überlegt, wenn ich groß bin, werde ich gleich Opa. Dann muss ich nicht auch immer so lang arbeiten und hab mehr Zeit für meine Kinder«.

Schlau ist er, der Janis. Ich muss mir wieder eine Träne abwischen.


Opa versteht mich einfach immer. Und er redet nicht so komisch wie die meisten anderen Erwachsenen. Wenn ich ihm was erzähle, muss ich das auch gar nicht fünf mal wiederholen. Weil Opa hört zu. Gerade habe ich ihm erklärt, dass ich gleich Opa werden will. Er fand es eine tolle Idee. Aber er meinte, dass ich erstmal arbeiten muss, bevor ich Opa werden könnte. Das hat mir nicht so gut gefallen. Ich muss auf jeden Fall einen Weg finden, um gleich Opa zu werden.   

»Opa, aber was ist, wenn ich einfach kein Erwachsener sein will? Da muss es doch eine Möglichkeit geben?«, frage ich nun Opa. Doch der meint, ne, da führe kein Weg dran vorbei. Wenn man Opa werden will, muss man erst mal ein Erwachsener gewesen sein. Immer muss man erst mal… Ich finde das nicht gut. Warum kann ich nicht einfach gleich das sein, was ich will. Immer muss ich erstmal mein Zimmer aufräumen, damit ich dann was Süßes kriege. Die Hausaufgaben machen, damit ich keinen Ärger kriege. Lernen, damit ich gute Noten kriege. Immer muss man erstmal was machen, damit man das kriegt, was man will. Das macht mich stinkesauer. Ich will am liebsten jetzt laut schreien. Oder irgendwas zerstören. Aber ich will nicht, dass der Opa sich aufregt.

Ich ess noch fünf Kekse. Keiner Sagt was. Das mag ich an Opa. Er kann einfach mal nix sagen. Die anderen Erwachsenen müssen immer reden.

»Opa«, sage ich dann, weil ich muss ihn jetzt was anderes fragen. Wenn ich schon nicht gleich Opa werden kann, dann will ich wenigstens von ihm wissen, wie das Leben funktioniert. »Wie funktioniert denn das mit dem Leben eigentlich? Ich mein, wieso muss man erst erwachsen sein, bevor man Opa sein darf?«. Opa guckt mich an. Normalerweise antwortet er gleich. Jetzt aber guckt er so aus, als würde ihm irgendwas durch den Kopf gehen. Seine Augenbrauen schauen witzig aus. So, als wäre sie ein ganzes Teil. Ganz dicht, wie im Wald. Ob das kitzelt auf der Stirn?

Was soll ich ihm jetzt sagen? Diesem aufgeschlossenem kleinen Kerlchen kannst du keinen Bären aufbinden. Er ist gewieft. Das mag ich an ihm. Er besitzt Geradlinigkeit. Wenn er sich was in den Kopf setzt, steht er dazu und gibt nicht auf. Auch, wenn mich das regelmäßig in schwere Nöte bringt. Zu allem Überfluss neigen sich die Keksvorräte auch dem Ende.

»Weißt du, Janis, das Leben funktioniert nun mal so: Erstmal ist man ein Kind. So wie du jetzt. Dann geht man in die Schule, lernt fürs Leben und macht dann eine Ausbildung oder studiert. Dann sucht man sich eine Arbeit, findet eine Frau, gründet eine Familie, baut ein Haus. Dann ist man erst mal ganz lange Erwachsener. Du bekommst Kinder und dann bist du vielleicht irgendwann einmal auch Opa, wenn deine Kinder Kinder bekommen«.

Janis sah mich mit seinen großen Augen an. Und ich spürte in meiner Brust etwas. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ihn angelogen zu haben, obwohl das, was ich ihm gerade sagte, ja stimmte und nichts Schlimmes war. Aber irgendwo erzählte ich ihm gerade eine Art des Lebens, die sich selbst für mich alten Greis nicht mehr richtig anfühlte. Ich war selbst Kind und fand es schrecklich. Ich lernte einen Beruf, der mir nicht sonderlich gefiel, und fand es schrecklich. Ich hatte in meinem Leben im Grunde niemals Zeit für die Dinge, die mir wirklich am Herzen lagen. Immer zu redete ich mir ein, dass, wenn ich erstmal in Rente sei, ich so viel mit meinem Leben machen würde. Doch die Jahre verrannen mir zwischen den Fingern. Meine Frau starb viel zu früh und alleine wollte ich weder die Welt bereisen, was immer unser Traum war, noch suchte ich mir ein neues Hobby. Ich wurde ein alter, verbitterter Mann, der sich jeden Tag über das aufgeregt hat, was in der Zeitung stand. Und über meinen verdammten Rasen, der einfach nicht so wachsen wollte, wie ich mir das vorgestellt hatte. Janis hat sein ganzes Leben noch vor sich. Was sollte er einmal aus seinem Leben machen? Aber ich kenne nun mal nur diese Version des Lebens.

Janis riss mich aus meinen Gedanken: »Opa, ich finde, das macht alles gar keinen Sinn. Weil, wenn die Mama und der Papa abends von der Arbeit kommen, dann haben sie ja immer gar keine Lust mehr, was mit mir zu machen. Sie sind immer müde und kaputt. Ich will mal nicht arbeiten. Ich werde gleich Opa. Ist mir egal, ob das geht oder nicht«.

Ich bewundere diesen kleinen Kerl. Und habe irgendwie überhaupt keinen Zweifel, dass er es mal schafft und gleich Opa wird.


Janis, der Opa.

Herr Schmitt verstarb eines natürlichen Todes. Janis war tieftraurig. Er liebte seinen Opa. Und seine Kekse. Die Zeit verstrich und Janis wurde älter. Er schloss die Schule ab, studierte und arbeitete für einen großen Konzern. Bald darauf fand er eine Frau, heiratete diese und bekam Kinder.

Niemals war er glücklich. Obwohl er sie liebte und ihm sein Job ein gutes Einkommen besorgte. Es war am Todestag seines Opas. Janis wollte etwas Zeit für sich alleine und fuhr ans Grab seines Opas. Er spazierte durch den schön angelegten Friedhof und war in keiner besonders heiteren Stimmung. Das Leben kostete ihn mittlerweile genauso viel Anstrengung wie seine Eltern damals, wie er noch Kind war.

Als er die Inschrift auf dem Grabstein betrachtete, musste er an die Besuche im Pflegeheim denken. Dort hatte sich Janis immer sehr wohl gefühlt. Hatte die Gespräche mit seinem Opa sehr genossen. Dort konnte er immer er selbst sein. Lange Zeit, dachte Janis ihn und stellte fest, wie sehr er ihn vermisste. Er setzte sich auf eine nahegelegene Parkbank, als er an das Gespräch von damals denken musste. Hatte er nicht mal seinem Opa erzählt, er wolle niemals Erwachsener werden sondern lieber gleich Opa, weil er das Leben seiner Eltern nicht leben wollte. Der ganze Stress, den er mittlerweile selbst hatte. Die wenige Zeit, die er für seine Kinder hatte. Den Streit, den es im Haus manchmal gab, weil er und seine Frau einfach frustriert waren?

Janis war müde von der Fahrt und dem Denken und nickte auf der Parkbank im Friedhof kurz ein. Da erschien ihm sein Opa. Er konnte es nicht fassen. Es war sein Opa, wie er ihn aus der Zeit im Pflegeheim in Erinnerung behielt. Wie konnte das sein? Opa sprach nun zu ihm: »Janis, schön dich zu sehen. Du musst mir zuhören: Du hast damals im Pflegeheim etwas zu mir gesagt. In deiner kindlichen Welt wolltest du direkt Opa werden, weil du das Erwachsenenleben, welches du mittlerweile selbst lebst, nicht leben wolltest. Ich will dir sagen: Erinnere dich daran. Finde einen Weg, wie du dein Leben anders gestalten kannst. Die Wahrheit liegt darin, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und zu deiner Essenz zurückzukehren. Frage dich: Wer bin ich wirklich? Stelle diese Frage so lange, bis du alles verlernt hast, was du über das Leben jemals gelernt hast, mein Junge. Vertraue mir: Es ist der einzige Weg. Es bringt nichts, das Leben zu verbessern und dir eine neue Identität zu geben. Du musst alles verlernen, was du einmal über das Leben gelernt hast. Nur dann wirst du frei!«.

Janis schreckte auf. Ehe er etwas erwidern konnte, war der Traum vorbei. Er war sich sicher, dass er seinen Opa gesehen hatte. Und Janis hatte die Botschaft verstanden. Alles verlernen, was ich jemals über das Leben gelernt habe.

Janis tat dies. Er stellte alles in Frage. Sich selbst, seinen Beruf, das Konzept seiner Ehe, die Art, wie er seine Kinder erzog. Die Menschen in seinem Leben — er hinterfragte alles. Zwei Jahre später war er der Opa, der er immer sein wollte. Mit seinen Ersparnissen investierte er geschickt und schaffte es, in der Woche nur noch wenige Stunden arbeiten zu müssen. Bald darauf, war auch dies vorbei und er und seine Familie waren frei, das zu tun, was sie wollten. Seine Kinder wuchsen frei auf, seine Ehe erlebte eine neue Dimension und er selbst war zum ersten Mal im Leben glücklich.

FIN